Natascha Wodins Buch „Irgendwo in diesem Dunkel“ hat mich sehr berührt. Die Geschichte eines jungen Mädchens in der Nachkriegszeit – ausgegrenzt aus der Gesellschaft, allein gelassen von der Familie – das war beim Lesen oft schwer zu ertragen, obwohl sie bei all dem ihre Neugier, ihren Lebenswillen nicht verloren hat.
„Irgendwo in diesem Dunkel“ ist ein autobiographisches Buch. Es ist das Buch über den Vater. „Sie kam aus Mariupol“ – das Buch über die Mutter war ein großer Erfolg, wurde 2017 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Natascha Wodin, 1945 in Deutschland als Kind sowjetischer Zwangsarbeiter geboren, lebte nach dem Selbstmord ihrer Mutter erst in einem katholischen Kinderheim, dann wieder beim Vater. Ihr Leben ist geprägt von Angst, Gewalt und der Sehnsucht dazuzugehören, zu dem Land, in dem sie lebt, zu Deutschland.
Über den Vater weiß sie nicht viel. Das Buch geht auf Spurensuche. Aber da ist vor allem Schweigen, Ablehnung und Hass.
Wodin erzählt auf verschiedenen Zeitebenen – Vergangenheit und Gegenwart. Als Jugendliche flüchtet sie aus ihrem zu Hause in die Obdachlosigkeit. Hunger und Kälte bringen sie in lebensbedrohliche Situationen. Die Angst vor dem Vater, vor der Gewalt hält sie von einer Rückkehr ab. Erst viele Jahre später nimmt sie wieder so etwas wie Kontakt auf. Der Vater ist alt und krank und einsam im Pflegeheim. Noch ein paar Jahre später ist sie auf seiner Beerdigung. Denkt zurück, versucht zu ergründen, warum der Vater so war wie er war, sucht nach ihrer Schuld, nach den Gründen für sein Verhalten ihr gegenüber. Sie findet nur Hinweise, Splitter aus der Vergangenheit, die nicht alle Fragen beantworten können.
Es ist eine erschütternde Geschichte, die auch ein Bild vom Nachkriegsdeutschland zeichnet. Vom Leben der Zwangsarbeiter, für die Deutschland nie Heimat wurde. Wodin verarbeitet ihre Jungend, ihre Beziehung zum Vater. Ein Buch, das sehr lesenswert ist.
Natascha Wodin: Irgendwo in diesem Dunkel, Rowohlt Verlag, ISBN 9783498074036